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04. Dezember 2018

„Den eigenen Tod, den stirbt man nur“

130 Teilnehmende setzten sich beim 13. Fachtag Demenz und Sterben in Nürnberg mit ethischen Fragestellungen am Lebensende auseinander

 

Nürnberg – „Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.“ Mit diesem Vers aus Mascha Kalékos Gedicht „Memento“ ist Diakon Johannes Deyerl beim 13. Fachtags Demenz und Sterben in Nürnberg in sein Thema eingestiegen. „Ethikzirkel – Dilemma-Situationen ethisch bearbeiten“ versprach der Titel seiner Arbeitsgruppe, in der sich neben einem Hausarzt viele Pflegekräfte aus Senioren-Einrichtungen und Krankenhäusern, ehrenamtliche Hospizbegleiterinnen und Angehörige eingefunden hatten. Insgesamt hatten sich trotz Blitzeises rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland ins Haus Eckstein aufgemacht, um sich mit dem Thema „Dein Wille – mein Wille: unumstößlich? Autonomierechte von Betreuten und Mitarbeitenden“ auseinanderzusetzen.

Diakon Deyerl, Leiter der Fachstelle Hospizarbeit und Palliative Care bei der Rummelsberger Diakonie, brachte ein ganz konkretes Beispiel aus dem Alltag im Pflegheim: Ein dementer älterer Herr hat vom Hausarzt und dem Logopäden massive Einschränkungen beim Schlucken diagnostiziert bekommen und darf nur über eine Magensonde ernährt werden. Würde er normal essen, so die Einschätzung der Experten, würde er höchstwahrscheinlich früher oder später dabei ersticken. Die Ehefrau des Seniors aber füttert ihn heimlich mit Leckereien von zuhause: Milchreis, Apfelmus, was er früher immer gern aß. Eines Tages bekommt eine Pflegekraft das mit. Damit wird das Ganze ein Fall für den Ethikzirkel im Haus: Denn offenkundig genießt der Mann den Geschmack der Süßspeisen sehr. Doch wenn er daran sterben kann? „Was ist Ihr Bauchgefühl?“, fragt Diakon Deyerl in die Runde. „Wenn es ihm doch schmeckt, das ist ja auch Lebensqualität“, sagt eine Teilnehmerin. „Und wenn er qualvoll erstickt? Wer übernimmt die Verantwortung?“, entgegnet ein anderer.

So kam die Arbeitsgruppe einer ethischen Bewertung des Falles auf die Spur – und merkte schnell, wie schwer die Abwägung fällt. Ein Ethikzirkel entscheidet am Ende nicht, sondern gibt eine Empfehlung an die Person, die als Bevollmächtigte den Willen des Bewohners vertritt. In diesem (reellen) Fall hatte das Votum abschließend gelautet: Im Zweifelsfalls habe der Mann das Recht, zu ersticken. Deyerl gab den Mitgliedern der Arbeitsgruppe aber auch die Warnung mit: „Ethikzirkel sind kein Allheilmittel.“ Hinter vielen scheinbar nur ethisch zu lösenden Problemen steckten oft mangelnde personelle und organisatorische Ressourcen in den Institutionen. Daher seien Ethikzirkel nur ein Instrument von vielen, beachtet werden müssten immer auch die gegebenen Umstände.

Bevollmächtigte setzen Patientenwillen durch

Eingeleitet in die Thematik des Fachtags hatte morgens Prof. Dr. Arne Manzeschke, Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Die Fähigkeit, Wünsche zu haben, und insbesondere diese Wünsche umzusetzen, zeichne den Menschen als solchen aus. Menschen mit einer fortschreitenden dementiellen Erkrankung hätten selbstverständlich auch Wünsche und Bedürfnisse, nur seien diese für uns nicht mehr ohne weiteres erkennbar. „Was macht diese dementiell erkrankte Person als Person erkennbar? Was macht sie aus? Da gilt es, genau hinzusehen“, so Prof. Manzeschke. Oft seien es Vertrauenspersonen des Erkrankten, die als Bevollmächtigte deren Willen stellvertretend umsetzen sollen. „Das setzt eine große Treue und Verlässlichkeit voraus.“ Schließlich können die Bevollmächtigten mitunter gezwungen sein, eine unumkehrbare Entscheidung am Lebensende zu treffen.

Die rechtliche Perspektive auf diese Fragen brachte Rechtsanwalt Wolfgang Putz aus München in die Debatte ein. „Die Rechtslage ist seit Jahren klar“, so der Jurist, „nur die Anwender des Rechts wissen darüber oft nicht Bescheid.“ Der entscheidende Punkt, um den sich alles drehe, sei die Frage, wann die Einsichtsfähigkeit des an einer Demenz erkrankten noch gegeben sei. Denn der Wille des Patienten sei ausschlaggebend. „Patientenwille sticht Indikation. Solange der Wille freiverantwortlich ist.“ Putz hat die Erfahrung gemacht, dass Angehörige häufig nicht loslassen können, auch wenn der Wille des Patienten klar ist – zum Beispiel nicht über einen längere Zeitraum künstlich beatmet oder über eine Sonde ernährt werden zu wollen. „Der Feind des Patientenwillens sitzt in der Familie“, brachte Putz seine Sichtweise drastisch auf den Punkt.

Wie man gut mit Angehörigen umgeht, war Thema einer anderen der neun Arbeitsgruppen. Hier gab Barbara Lischka von Angehörigenberatung e.V. wertvolle Tipps und führte in Techniken der Gesprächsführung ein. Weitere Arbeitsgruppen befassten sich beispielsweise mit der vorausschauenden Planung der Behandlung und mit Spannungsfeldern gesetzlicher Betreuung demenzkranker Menschen. Angesichts des großen Zuspruchs der Teilnehmenden zeigten sich nach dem Abschlussvortrag von Dr. Gert Dressel aus Wien über „Caring Communities“ alle Mitglieder des Organisationsteams hoch zufrieden. Der 13. Fachtag Demenz und Sterben war eine gemeinsame Veranstaltung der Akademie für Hospizarbeit und Palliativmedizin Nürnberg, der Diakonie Neuendettelsau, der Angehörigenberatung e.V. Nürnberg, des Klinikums Nürnberg, der Alzheimer Gesellschaft Mittelfranken e.V. und der Rummelsberger Diakonie e.V.

Von: Andrea Wismath

Mit rund 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der 13. Fachtag Demenz und Sterben in Nürnberg sehr gut besucht. Foto: Andrea Wismath