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17. September 2021

Gehörlose Schülerin schließt Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin ab

Simone Seeberger besuchte drei Jahre lang die Fachschule für Heilerziehungspflege/-hilfe Ebenried

Ebenried – „Du hättest einen Oscar verdient“, sagt Andreas Schock, stellvertretender Schulleiter der Fachschule für Heilerziehungspflege/-hilfe Ebenried, zu Schülerin Simone Seeberger und zeigt auf eine Oscar-Figur, die auf dem Tisch steht. Die 30-Jährige hat an der Berufsschule der Rummelsberger Diakonie ihre dreijährige Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin abgeschlossen. Den Oscar haben vor einigen Jahren Schüler*innen der Fachschule überreicht, für die beste Schule. Auch wenn der Oscar freilich an der Fachschule bleibt, gebührt Simone Seeberger großer Respekt. Die 30-Jährige ist gehörlos.

„Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich in einer besonderen Situation bin, als Gehörlose an einer hörenden Schule“, so Simone Seeberger. Im Unterricht waren immer zwei Gebärdensprachdolmetscher*innen dabei, die abwechselnd den Unterricht für Simone Seeberger und zwei weitere gehörlose Schüler*innen übersetzten. „Ich bin der Schule sehr dankbar, dass uns die Chance gegeben wurde“, sagt Simone Seeberger. Es gehöre mehr dazu, als eine*n Dolmetscher*in im Unterricht zu tolerieren. „Die Schule hat sich auf uns eingestellt und die Lehrkräfte haben uns sehr gefördert und ermutigt, weiterzumachen“, so die 30-Jährige.

Für die junge Frau war es nicht immer leicht, besonders während der Zeit des Distanz-Lernens. Simone Seeberger musste am Computerbildschirm der Lehrkraft und gleichzeitig dem/der Gebärdensprachdolmetscher*in folgen, und nebenher ihre drei Kinder im Homeschooling betreuen. „Die Lehrkräfte haben sich immer Zeit genommen, wenn ich Defizite wegen meiner Gehörlosigkeit hatte“, sagt die 30-Jährige. Wenn nötig, wurden die Leistungsnachweise an die Bedürfnisse der Schüler*innen angepasst. Denn manche Gehörlose haben Schwierigkeiten, zu lesen und zu schreiben – auch Deutsch ist für sie ebenso eine Fremdsprache, wie für Hörende die Gebärdensprache eine Fremdsprache ist.

Die Fachschule in Ebenried hatte bereits Erfahrung mit gehörlosen Schüler*innen. Neben Simone Seeberger und den zwei Mitschüler*innen, die mit ihr begannen, haben in den Jahren zuvor bereits drei Schüler*innen ihre Ausbildung zum/zur Heilerziehungspflegehelfer*in abgeschlossen. Im diesem Schuljahr ist kein*e gehörlose*r Schüler*in angemeldet, Andreas Schock würde sich aber freuen, wenn sich das künftig wieder ändert. Denn der Bedarf an gut ausgebildeten Fach- und Hilfskräften ist groß.

Simone Seeberger beginnt nun als Fachkraft bei Regens Wagner in einer Wohngruppe in Nürnberg. In der Gruppe wohnen gehörlose Personen, schwerhörige Menschen, Taubblinde und hörende Personen, die sich verbal nicht äußern. Die 30-Jährige kann sich mit ihrem Einfühlungsvermögen gut auf die Bewohner*innen einstellen und sie durch die Ausbildung auch fachlich entsprechend begleiten. „Wir trainieren die Selbstständigkeit der Bewohner*innen“, sagt Simone Seeberger.

Ein Beruf im sozialen Bereich hatte Simone Seeberger anfangs nicht im Sinn. Nach einer Ausbildung zur Buchbinderin begann die junge Frau eine Ausbildung zur Taubblinden-Assistentin. Hierfür machte sie ein Praktikum bei Regens Wagner. Die Mitarbeitenden dort merkten schnell, dass Simone Seeberger genau die Richtige für den Beruf als Heilerziehungspflegerin ist und sicherten ihr eine Anstellung zu, wenn sie die Ausbildung abgeschlossen hat. Die Schulwahl fiel nach einem Besuch des Sommerfestes in Ebenried auf die Rummelsberger Schule. Auf dem Fest lernte Simone Seeberger Andreas Schock kennen. „Ich hatte sofort ein gutes Bauchgefühl“, sagt Seeberger.

Bevor es losgehen konnte, musste Simone Seeberger jedoch die Finanzierung für die Gebärdensprachdolmetscher*innen beantragen. In ihrem Fall übernahm die Agentur für Arbeit die Kosten. Aber auch der Bezirk oder das Integrationsamt kommen als Kostenträger infrage. „Die Anträge sind teilweise kompliziert, aber ich möchte jeden ermutigen, den Schritt zu gehen“, sagt Andreas Schock. Dabei hält er das Grundgesetz in Händen. In Artikel 12 steht: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Für Andreas Schock darf eine Gehörlosigkeit kein Hinderungsgrund sein.

Von: Claudia Kestler

Simone Seeberger (rechts) spricht mit Andreas Schock über ihre Ausbildung an der Fachschule für Heilerziehungspflege/-hilfe Ebenried. Gebärdensprachdolmetschern Ronja Kunze übersetzt. Foto: Claudia Kestler Simone Seeberger hat an der Fachschule für Heilerziehungspflege/-hilfe Ebenried ihre Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin abgeschlossen. Foto: Claudia Kestler