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05. März 2021

Sprache kann die Welt verändern

Annemarie Schön, Gleichstellungsbeauftragte der Rummelsberger Diakonie, und Anja Pudelko von capito Nordbayern sprechen über gendergerechte Sprache

Rummelsberg. An diesem Thema scheiden sich die Geister: Gendergerechte Sprache. Mit Sternchen oder Unterstrich, immer alle Geschlechter nennen oder reicht es am Ende doch, am Anfang des Textes zu erwähnen, dass alle Geschlechter durch die männliche Form angesprochen sind? Die Entscheidung des Duden, das generische Maskulinum zu streichen, hat für Aufregung gesorgt – auch bei der Rummelsberger Diakonie wird immer wieder gerungen um die beste Möglichkeit, gerecht und barrierefrei zu kommunizieren. 
„Was nicht gehört wird, wird kognitiv nicht verarbeitet“, erklärt Annemarie Schön, Gleichstellungsbeauftragte der Rummelsberger Diakonie. Anja Pudelko, die mit dem Schwerpunkt Unterstützte Kommunikation in der RDB und bei capito Nordbayern tätig ist, ergänzt: „Die ‚Alle sind gemeint‘-Klausel hat wirklich nur Alibi-Funktion. Was ich im Text lese, das nehme ich wahr.“ 
Annemarie Schön möchte Frauen grundsätzlich mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein bringen. Dazu müsse sich, so die 56-Jährige, nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur ändern. „Aber die Sprache ist auf jeden Fall ein guter Ansatz, um für die Zukunft etwas zu verändern.“ 
Annemarie Schön träumt von einer rechtlichen Klärung, von einer einheitlichen Form für ganz Europa und von einer weiterführenden Verankerung von gegenderten Begriffen im Duden. Auf jeden Fall hoffen beide Frauen, dass in Zukunft nicht mehr über das Thema diskutiert werden muss, sondern dass selbstverständlich in Texten gegendert wird. „Und das gilt auch für Leichte Sprache“, so Anja Pudelko. „Warum sollten Menschen mit Behinderung nicht in dieser gesellschaftlichen Entwicklung mitgenommen werden?“ Das Totschlag-Argument: ‚Aber dann wird der Text zu kompliziert‘ lässt sie nicht gelten. „Dafür gibt es fast immer eine Lösung. Ich hoffe, dass es in 15 Jahren normal ist, DASS fast immer gegendert wird und dass wir vielleicht nur noch über das WIE geteilter Meinung sind.“ Die Rummelsberger Diakonie nutzt in den meisten Publikationen und Texten das Gendersternchen- und erntet dafür Lob und Tadel.
Dass die neutrale Form den größeren Lesekomfort bietet, ist klar. ‚Mitarbeitende‘ liest sich flüssiger als ‚Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter‘ und auch als ‚Mitarbeiter*innen‘. „Das Gendersternchen ist im Moment noch nicht barrierefrei für Screen Reader, den zum Beispiel Menschen mit einer Sehbehinderung nutzen“, sagt Anja Pudelko. Es steht, so die 53-Jährige, dazu eine Entscheidung des Blindenverbands aus. Der Nutzung des Sternchens auch für Leichte Sprache steht ansonsten nichts im Wege. „Menschen mit Behinderung haben oft ein großes Verständnis für die Belange von Randgruppen. Dass es also Menschen gibt, die weder Frau noch Mann sind und die trotzdem gesellschaftlich wahrgenommen werden möchten, ist daher auch für die Leserinnen und Leser von Leichter Sprache gut erfassbar“, meint Anja Pudelko. 
Beide Frauen vertreten ihre Überzeugung von geschlechtergerechter Sprache auch im privaten Umfeld. „Ich will natürlich nicht als Emanze rüberkommen, aber so sprachlich-sexistische Sprüche wie ‚Frau am Steuer‘ gehen einfach gar nicht für mich. Das lasse ich dann nicht unkommentiert stehen“, so Annemarie Schön. Anja Pudelko ergänzt: „Ich glaube, wir unterschätzen, wie viele Blockaden unterbewusst noch da sind, wie viele Menschen sich nichts dabei denken und dann sagen ‚Das habe ich doch gar nicht so gemeint‘. Der Feminismus hat natürlich seine Glanzzeit schon hinter sich, heute wird einem das ja eher negativ angekreidet, wenn man sich da engagiert. Dabei müssten wir heute unbedingt noch einen Schritt weitergehen.“ Annemarie Schön sieht das ähnlich. „Wir sind seit Kindheitstagen in bestimmte Rollenbilder geprägt worden. Unbewusst formuliere ich auch manchmal Sätze, die ich gar nicht möchte.“ Ein weiterer Traum für die Zukunft: „Warum nicht auch geschlechterneutrale Sprache im Bildungssystem verankern und es so den Kindern von Anfang an beibringen?“, meint Anja Pudelko.
 

Von: Diakonin Arnica Mühlendyck

Anja Pudelko ist mit dem Schwerpunkt „Unterstützte Kommunikation bei den Rummelsberger Diensten für Menschen mit Behinderung und bei capito Nordbayern tätig. (Foto: privat) Annemarie Schön ist die Gleichstellungsbeauftragte der Rummelsberger Diakonie (Foto: privat)