Nürnberg – Wenn der mobile Altar in das Wohnzimmer von „Katharina Tucher“ gerollt wird, hat der laut brummende Kühlschrank zu schweigen. Denn dann ist Gottesdienstzeit in diesem Wohnbereich der Senioreneinrichtung im Stadtzentrum Nürnbergs.
Was im Advent 2016 als Projekt begann, ist heute fester Bestandteil des Lebens im Wohnbereich für Menschen mit Demenzerkrankung der Pflegeeinrichtung. Zunächst auf ein Versuchsjahr begrenzt, beschlossen die beiden Initatiator*innen, Pflegefachkraft Simone Blaufelder und Pfarrer Peter Seidel, bereits nach einigen Monaten, es nicht dabei zu belassen. Es waren gute Erfahrungen mit dem zweiwöchig stattfindenden Gottesdienst gemacht worden. „Viele Besucher sind nach der Andacht entspannter“, sagt Blaufelder, die im gerontopsychiatrischen Fachdienst des Stifts arbeitet.
Unterstützt von Haus- und Fachdienstleitung und mitgetragen durch die Mitarbeitenden sind seitdem fast 100 Gottesdienste gefeiert worden. Kein einziger musste ausfallen – mit Ausnahme der coronabedingten Unterbrechung. Alle zwei Wochen um 10.15 Uhr versammeln sich die Bewohner*innen zum Beten, Singen, Hören, Bekennen und Schweigen. Eine gute halbe Stunde ganz besondere Zeit ist es jedes Mal: Immer der gleiche, vertraute Ablauf, niemals der gleiche Inhalt. Jeder Gottesdienst ist einmalig und nur für diesen jeweiligen Tag gedacht. Vor allem das Kirchenjahr mit seinen Festen und biblischen Bezügen dient als Leitlinie und liefert die „Grundierung“.
Es geschieht nichts Spektakuläres, wenn die Glocken von St. Lorenz (natürlich digital!) die gottesdienstliche Zeit einläuten. Aber es geschieht durchaus Bemerkenswertes: Ruhe kehrt ein und eine gelöste Stimmung ist zu spüren. Es sieht so aus, als wüssten sich die Menschen gut und sicher aufgehoben. Wenn Abendmahl gefeiert wird, was in jedem vierten Gottesdienst der Fall ist, dann stellt sich „Andacht“ ein. Und das im besten Sinn des Wortes. Selbst die Allerschwächsten reagieren und sind Teilnehmer*innen; nicht nur an einem liturgischen Geschehen, sondern an einem kleinen Stück Gotteszeit. Besonders erfreulich ist, dass seit dem Neubeginn im September 2021 mit Herrn Vester am Klavier die Musik von einem Menschen, anstatt wie bisher elektronisch, gemacht wird.
Zum fünfjährigen Jubiläum am 8. Dezember 2021 gab es für alle Gottesdienstteilnehmenden etwas „Zeit zum Essen“: Simone Blaufelder hatte einen Zahlenkuchen, eine zuckersüße 5, gebacken, die ihrer Bestimmung zugeführt worden ist Sie wurde restlos aufgegessen. So bleiben keine hinderlichen Reste für hoffentlich viele weitere Gottesdienste für und mit Menschen mit Demenz.
Von: Peter Seidel