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19. Dezember 2023

Nachhaltigkeit als Insolvenzfalle für die Sozialwirtschaft

Träger fordern dringende Anpassungen im Rahmen des Green Deal

Dr. Tobias Gaydoul und seine Mit-Autoren Martin Seehase, Steffen Jaeckel und Wolfgang Meyer tragen in großen Unternehmen der Sozialwirtschaft Führungsverantwortung. Für den Brüsseler Kreis, einem Zusammenschluss deutscher und europäischer Sozialunternehmen mit mehr als 50.000 Mitarbeitenden haben sie die Folgen ambitionierter Vorgaben im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union analysiert und stellen Forderungen an die Politik.

Mit viel Idealismus hatten die deutschen Wohlfahrtsverbände, allen voran Caritas und Diakonie, im Jahr 2021 verkündet, bis spätestens 2030 bzw. 2035 klimaneutral zu werden. Doch nun wird Katerstimmung spürbar, da die finanziellen Herausforderungen, die mit diesen ehrgeizigen Zielen einhergehen, bisher nicht ausreichend bedacht wurden.

Der Schlüssel zum Ziel Klimaneutralität liegt in der Sozialwirtschaft unter anderem im Bereich des Immobilienbestands. Viele dieser Objekte sind über 40 Jahre alt und entsprechen nicht den aktuellen KfW-Standards. Schätzungen zufolge beläuft sich der bundesweite Investitionsbedarf zur Erreichung der Klimaneutralität im Bereich der Sozialimmobilien auf rund 136 Mrd. Euro (für Einrichtungen aller Trägerschaften in den Arbeitsfeldern Krankenhilfe, Altenhilfe, Eingliederungshilfe sowie Kinder- und Jugendhilfe) . Diese Summen sind jedoch angesichts der aktuellen Finanzierungssituation der Sozialwirtschaft nur schwer zu realisieren.

Die Europäische Union hat mit dem Green Deal die Rahmenbedingungen gesetzt, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Banken sollen dabei eine zentrale Rolle spielen, indem sie Kapitalflüsse in Richtung nachhaltiger Wirtschaft lenken und ESG-Faktoren in ihre Kreditrisikostrategie integrieren. Eine aktuelle Umfrage der EZB zeigt bereits Anzeichen dafür, dass Banken ihre Kreditrichtlinien im Immobiliensektor verschärfen.

Die Sozialwirtschaft steht jedoch vor einer besonderen Herausforderung, da sie nicht die klassische Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt nutzen kann. Aufgrund von Refinanzierungssystematiken und einem hohen Anteil an Unternehmenskrediten sind Sozialunternehmen schwer in der Lage, die bei Banken üblichen Klauseln zu erfüllen. Die 7. Novelle des Risiko Managementsystems der Kreditwirtschaft (MaRisk) verschärft die Lage zusätzlich, indem sie ESG-Faktoren in das Risikomanagement der Banken integriert.

Die Berechnungslogik des Beleihungswertes ändert sich durch ein ESG-Scoring, was dazu führt, dass die Beleihungswerte von Sicherungsobjekten sinken. Dies zwingt Banken, entweder ihr Eigenkapital zu erhöhen oder weitere Sicherheiten von den Sozialunternehmen zu fordern. Insbesondere bei Bestandsimmobilien wird dies zum Dilemma, da viele Träger zusätzliche Sicherheiten kaum aufbringen können.

Die aktuelle Förder- und Refinanzierungspraxis der Kostenträger steht im Widerspruch zu den politischen Zielen des Green Deal. Dazu verschärfen die langen Wartezeiten auf öffentliche Gelder die finanzielle Situation vieler Unternehmen der Sozialwirtschaft.

Die Träger der Sozialwirtschaft fordern daher dringende Anpassungen:

  • Berücksichtigung aller Kosten der Nachhaltigkeit bei der Refinanzierung: Die Kosten nachhaltiger Maßnahmen müssen bei der Refinanzierung von Investitionskosten additiv berücksichtigt werden.
  • Sicherung der ESG-Scoring-Abschläge durch Patronatserklärungen oder Staatsgarantien: Die durch das ESG-Scoring ermittelten Abschläge bei Sicherungsobjekten müssen durch entsprechende Sicherheiten seitens der Kostenträger besichert werden.
  • Anerkennung von Energieeffizienzmaßnahmen als Investitionskosten: Maßnahmen zur Energieeffizienz sollten als betriebsnotwendige Kosten anerkannt und bei Neubauten und Bestandsgebäuden innerhalb des Abschreibungszeitraums als Investitionskosten berücksichtigt werden.
  • Kosten für die Unterkunft und Verpflegung, sogenannte Betriebskosten, müssen Energieeffizienz verbessernde Aufwendungen als betriebsnotwendige Kosten beinhalten.

Zur kurzfristigen Vermeidung einer Insolvenzgefahr sollte auf Bundesebene ein Ausnahmetatbestand für die Sozialwirtschaft im Rahmen des Green Deal geschaffen werden.

Die Autoren der Analyse warnen vor drohenden Insolvenzen, die das Wirtschaftswachstum in Deutschland bremsen und die sozialen Sicherungssysteme gefährden könnten. Es ist dringend erforderlich, die aktuellen Finanzierungshürden zu überwinden und eine nachhaltige Zukunft für die Sozialwirtschaft zu sichern.

Das vollständige Papier steht unter www.rummelsberger-diakonie.de zum Download bereit.

Die Autoren: Dr. Tobias Gaydoul ist Finanzvorstand der Rummelsberger Diakonie e.V. in Schwarzenbruck bei Nürnberg; Wolfgang Meyer, Sprecher des Vorstandes Sozialwerk St. Georg, Gelsenkirchen; Steffen Jaekel, Kaufmännischer Vorstand Pommerscher Diakonieverein e. V. in Greifswald und Martin Seehase, Vorsitzender der Geschäftsführung der Gruppe Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie in Rendsburg.

Der Brüsseler Kreis wurde im Jahr 2000 als ökumenischer Zusammenschluss gemeinnütziger sozial- und gesundheitswirtschaftlicher Unternehmen aus Diakonie und Caritas gegründet. Die Mitgliedsunternehmen sind regional verankert, ihre Standorte liegen in der Bundesrepublik Deutschland und im europäischen Ausland. Mit über 50 000 Mitarbeitenden und mehr als 40 000 stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten erreicht der Brüsseler Kreis jährlich rund 120 000 Klientinnen und Klienten, bei einem Jahresumsatz von über 2,5 Mrd. Euro.


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