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Die Rummelsberger

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03. Februar 2017

„Alternative Fakten verursachen bei mir Hautausschlag“

Der Publizist und Historiker Dr. Thomas Greif leitet seit Juli 2016 Museum und Archiv der Rummelsberger Diakonie. Ende Mai öffnet die erste Ausstellung, die er verantwortet, mit dem Titel „Kaiser, Kanzler, Rummelsberger. 21 Fußnoten deutscher Geschichte“. Andrea Wismath führte ein Gespräch mit dem Journalisten über seinen Wechsel, über Schwierigkeiten der Vergangenheitsbewältigung und seine Pläne für die Zukunft des Museums.

Warum haben Sie sich entschlossen, nach Rummelsberg zu wechseln?
Ich habe über 20 Jahre als Journalist gearbeitet. Da kann eine Luftveränderung ja nicht schaden. Hier habe ich alle Arbeitsfelder, in denen ein Historiker arbeiten kann: Museum und Archiv, Bibliothek, Forschung und Lehre – und dazu noch die Kirchenmusik, für die ich schon seit 2011 zuständig bin. Da passt alles.

Warum braucht ein diakonischer Träger überhaupt einen Historiker?
Man kann die Welt nicht verstehen ohne Geschichte. Das gilt ganz allgemein: Warum ist Europa so wichtig für uns? Warum steht Sterbehilfe in Deutschland unter einem ganz besonderen Vorbehalt? Aber auch für eine diakonische Institution: Welche Werte waren einmal wichtig, welche sind es heute? Was lässt sich aus Fehlern und Erfolgen der Vergangenheit lernen? Wir müssen ein Bewusstsein dafür haben, dass sich die Welt stetig wandelt und nichts „gesetzt“ ist. Das ist übrigens eine entsetzlich aktuelle Frage.

Welche sind für Sie die wichtigsten Themen hinsichtlich einer historischen Aufarbeitung der Rummelsberger Geschichte?
Das Buch von Gerhard Wehr ist bis heute eine sehr tragfähige Grundlage. Das „Dritte Reich“ und die Nachkriegsgeschichte hat er sehr zurückhaltend behandelt, weil ihm die nötige zeitliche Distanz fehlte. Diakoninnen kommen noch kaum vor. Mir ist ganz wichtig, Rummelsberg immer in Wechselwirkung und als Teil der „großen“ Geschichte zu sehen, nicht als isoliertes Soziotop auf einer Waldlichtung, das sich selbst genug ist. Die Rummelsberger haben das früher gepflegt, aber es hat noch nie gestimmt. Die erste Ausstellung, die ich im Museum verantworte, zielt genau darauf. Sie trägt den Titel: „Kaiser, Kanzler, Rummelsberger. 21 Fußnoten deutscher Geschichte“.

Kaiser und Kanzler? Um was genau geht es in der Ausstellung?
Die Ausstellung basiert auf der Idee, dass jeder Mensch mit seiner Biographie auch Teil der „großen“ Geschichte ist und dabei den Ereignissen, die im Geschichtsbuch stehen, mitunter erstaunlich nahe kommt – Forrest Gump lässt grüßen. In Text und Bild, Filmen und Exponaten wird ab 24. Mai zu sehen sein, was Rummelsberger mit Willy Brandts Warschauer Kniefall zu tun haben, mit der Gründung des Lutherischen Weltbundes oder mit der Niederschlagung des Stauffenberg-Aufstandes gegen Hitler.

Sich auch mit dunklen Kapiteln der Geschichte zu befassen, kann ja Widerstand erzeugen. Wie gehen Sie damit um?
Ein Begriff wie der von den „alternativen Fakten“, wie ihn die Trump-Administration pflegt, verursacht bei mir als Historiker Hautausschlag. Man kann sich quellenmäßig belegte Tatsachen nicht schönreden. Martin Sommer, einer der brutalsten KZ-Schergen, hat 17 Jahre in Rummelsberg gelebt. Es gefällt vielleicht nicht jedem, daran erinnert zu werden. Aber er gehört zur Geschichte des Ortes dazu. Nur das zählt.

Auf was für Schätze sind Sie hier in Rummelsberg bisher gestoßen?
Schätze im eigentlichen Wortsinn wird man hier vergeblich suchen. Die Rummelsberger haben immer von der Hand in den Mund gelebt. Aber es gibt natürlich Fundstücke, die hohen ideellen Wert für Rummelsberg haben: Das Kriegstagebuch von Marie Nicol etwa, das Rummelsberg-Gemälde von Friedrich Trost dem Jüngeren (abgedruckt in der Broschüre „Rummelsberger Geschichte(n)“) oder die Entwurfsskizze von Annemarie Naegelsbach für das Altarbild. Keines der drei Objekte befindet sich übrigens bislang hier am Ort.

Wie soll sich das Museum der Rummelsberger Diakonie Ihrer Vorstellung nach entwickeln?
Maßstab für jedes Museum ist die Frage: Wie kann ich viele Menschen für meine Themen interessieren und als Besucher gewinnen? Ich wünsche mir kein Heimatmuseum mit einer Butzenscheiben-Perspektive, die gerade noch bis Moosbach reicht, sondern einen diakonischen Diskursort: Wie hat sich Barmherzigkeit im Laufe der Zeit gewandelt? Wie wird sie sich künftig entwickeln? Jede sozialpolitische Debatte, auch die über die Flüchtlingsfrage, hat neben der aktuellen auch immer eine historische Perspektive. Wir sind einer der Zentralorte der Diakonie in Bayern. Warum sollen wir nicht bayerische Diakoniegeschichte erzählen? Wenn wir dafür Verbündete finden, kann aus dem Museum eine richtig tolle Sache werden.

Zur Person
Dr. Thomas Greif, Jahrgang 1968, studierte Geschichte in Erlangen und Bamberg und veröffentlichte 2007 seine mehrfach preisgekrönte Dissertation „Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich“. Nach 20 Jahren als Zeitungsredakteur beim „Fränkischen Tag“ (Bamberg) und dem „Sonntagsblatt – Evangelische Wochenzeitung für Bayern“ (Nürnberg) ist er seit Juli 2016 bei der Rummelsberger Diakonie Leiter von Museum und Archiv sowie Organist in der Philippuskirche. Zuletzt erschien sein Reportagenband „Die Reformation in Europa. Wo die protestantische Idee bis heute fortwirkt. 25 Ortsbesuche“.

Zur Ausstellung
Mit der Sonderausstellung „Kaiser, Kanzler, Rummelsberger. 21 Fußnoten deutscher Geschichte“ ermöglicht das Museum der Rummelsberger Diakonie ab 24. Mai 2017 unterhaltsame und lehrreiche Einblicke in die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Zu sehen ist die Ausstellung im Haus 47 voraussichtlich bis Jahresende 2017. Besuchstermine können per Mail an kommunikation(at)rummelsberger.net, telefonisch unter 09128 500 oder online unter www.zu-besuch-in-rummelsberg.de vereinbart werden.

Von: Andrea Wismath

Nach 20 Jahren als Zeitungsredakteur in Bamberg und Nürnberg ist der studierte Historiker Dr. Thomas Greif seit Juli 2016 Leiter von Museum und Archiv der Rummelsberger Diakonie. Foto: Domenic Winkler