100 Jahre Wichernhaus – 100 Jahre Menschsein
03. November 2025Altdorf b. Nürnberg – Mit einem feierlichen Festgottesdienst unter dem Motto „Menschsein“ hat das Wichernhaus der Rummelsberger Diakonie am 25. Oktober sein 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Bewohner*innen, Mitarbeitende, kirchliche und politische Vertreter*innen und Bürger*innen kamen in der Laurentiuskirche zusammen, um gemeinsam die Geschichte des Hauses zu würdigen und seine zukunftsweisende Botschaft zu hören: Jeder Mensch ist wichtig. Jeder Mensch gehört dazu.
Ein Gottesdienst, der berührt – und alle gleichmacht
Diakonin Ellen Eidt, Diakon Peter Barbian und Diakonin Christine Meyer gestalteten den Gottesdienst, der bewusst ausschließlich im Sitzen stattfand und auf bekannte Lieder verzichtete. „Damit alle gleich sind und dieselben Voraussetzungen haben“, erklärte Barbian. Stattdessen standen unbekannte Melodien auf dem Programm – eine Symbol für Inklusion als gelebte Normalität.
Ein Höhepunkt war die aufgezeichnete Rede von Bernhard Herrlitz. Er wohnt im Wicherhaus und kann nicht sprechen. Mit Hilfe seines Talkers (Sprachcomputer) brachte er die zentrale Botschaft auf den Punkt: „Wir alle sind nach Gottes Vorbild geschaffen. Er sah alles an, was er gemacht hatte – und es war sehr gut.“ Barbian ergänzte: „Ich glaube, wir sind Gott am nächsten, wenn wir menschlich sind.“
Von der „Krüppelanstalt“ zum Ort der Teilhabe
Das historische Gebäude des Wichernhauses, erbaut 1571 und als Universität genutzt, wurde 1925 von der Rummelsberger Brüderschaft als „Krüppelanstalt“ für Kriegsversehrte des Ersten Weltkriegs übernommen. Der Bedarf war groß. Seitdem hat sich das Haus stetig weiterentwickelt – von einer orthopädischen Klinik (heute: Krankenhaus Rummelsberg) über eine Schule und eine Werkstatt bis hin zu modernen Wohn- und Pflegeangeboten.
In den vergangenen 100 Jahren musste das Wichernhaus, seine Mitarbeitenden und Klient*innen auch schwere Zeiten meistern: In der Zeit des Nationalsozialismus wehrte sich Rektor Karl Nicol erfolgreich gegen die Deportation seiner Schützlinge – ein Zeichen für den unbedingten Einsatz für Menschenwürde, der das Wichernhaus bis heute prägt.
„Inklusion ist hier kein Konzept – sie wird gelebt“
Im Anschluss an den Gottesdienst feierten die Gäste im historischen Betsaal des Wichernhauses. Karl Schulz, Vorstandsmitglied der Rummelsberger Diakonie, betonte in seiner Festrede: „Das Wichernhaus ist ein Ort, an dem Inklusion kein theoretisches Konzept ist, sondern seit Jahrzehnten jeden Tag gelebt wird.“ Rund 500 Menschen leben und arbeiten hier – begleitet von ebenso vielen Mitarbeitenden. „Hier stehen die Bewohner*innen im Mittelpunkt – ihr Leben, ihre Stärken und ihre Herausforderungen haben das Wichernhaus zu dem gemacht, was es heute ist“, so Schulz.
Altdorfs Bürgermeister Markus Tabor unterstrich die enge Verbindung zwischen Stadt und Einrichtung: „Das Wichernhaus ist untrennbar mit Altdorf verbunden. Es ist ein Ort der Teilhabe und Menschlichkeit – seit einem Jahrhundert.“ Die Stadt profitiere davon, etwa durch barrierefreie Wege, die das Wichernhaus mitinitiiert habe. An Leiter Thomas Jacoby gerichtet sagte Tabor: „Tom, ich danke dir für die vielen Jahre der Zusammenarbeit. Wir sind uns nicht nur räumlich nah, sondern auch menschlich.“
„Es darf nie wieder passieren, dass Menschen anderen das Menschsein absprechen“
Peter Daniel Forster, Vorsitzender des Bayerischen Bezirkstages, erinnerte in seiner Rede an die historische Verantwortung: „Jeder Mensch ist wichtig. Es darf nie wieder passieren, dass Menschen anderen das Menschsein absprechen. Ich bin der Rummelsberger Diakonie dankbar, dass sie für Vielfalt und eine weltoffene Gesellschaft eintritt.“
Das Wichernhaus gehört zu den Rummelsberger Diensten für Menschen mit Behinderung (RDB). Die RDB ist eine gemeinnützige Gesellschaft mbH und gehört zur Rummelsberger Diakonie e.V. Unter dem Dach der RDB sind stationäre und ambulante Angebote für Menschen mit Behinderung zusammengefasst. Rund 3.500 Klient*innen nehmen die Dienstleistungen von mehr als 2.500 Mitarbeitenden in Anspruch.