„Ein Ort der Herzenswärme“
07. Oktober 2025Nürnberg – Strahlende Gesichter, bewegende Reden und ein gemeinsames Feiern des Erreichten: Die Muschelkinderschule Nürnberg, eine Einrichtung der Rummelsberger Diakonie für Kinder mit Autismus, feierte am Donnerstag, 2. Oktober 2025, ihr 30-jähriges Jubiläum – und blickte dabei auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurück.
Rund 80 Gäste, darunter Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, Bezirkstagspräsident Peter Daniel Forster, Bezirkstagspräsident Mittelfranken, sowie weitere Vertreter*innen aus der Politik, von engagierten Vereinen, der Rummelsberger Diakonie und natürlich Eltern, Ehemalige und Schüler*innen, würdigten die Schule als Vorzeigeprojekt für individuelle Förderung und gesellschaftliche Teilhabe.
„Diese Schule ist weit mehr als ein Bildungsort – sie ist ein Ort der Herzenswärme. Der Bedarf für Angebote für Kinder mit Autismus steigt“, sagte Nürnbergs Oberbürgermeister in seiner Rede, „wir setzen alles daran, dass die Stadt soziale Teilhabe mitträgt.“
Eine Uhr fürs Schulhaus
Peter Daniel Forster hob die moderne Ausrichtung der Schule hervor: „Kinder mit einem besonderen Bedarf brauchen einen besonderen Ort.“ Soziale Einrichtungen wie die Muschelkinderschule dienen keinem Selbstzweck, betonte der Politiker, sie benötigen viel mehr den Schutz vor Akteur*innen der politisch Rechten. „Unsere schöne Demokratie kann sich selbst auf demokratische Weise schnell abschaffen“, gab er zu bedenken. Am Ende seiner Rede betonte er: „Aber egal wie stark die Ränder sind – wir sind mehr.“
Der Bezirkstagspräsident kam nicht mit leeren Händen: Eine Uhr soll ab sofort das Schulhaus in der Ingolstädter Straße bereichern.
Von der Elterninitiative zur Erfolgsinstitution
Die Wurzeln der Muschelkinderschule reichen bis in die 1990er-Jahre zurück, als eine Elterninitiative den Grundstein für ein Bildungsangebot legte. Da es kein passendes Angebot für ihre Kinder gab, wurde die Eltern selbst aktiv und arbeiteten gemeinsam mit Fachkräften der Rummelsberger Diakonie das Konzept der Muschelkinderschule aus. Heute ist die Muschelkinderschule staatlich anerkannt. Sie bietet Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ein individuelles Lernumfeld mit kleinen Klassen, spezialisierten Lehrkräften und therapeutischer Begleitung. Das moderne Schulgebäude ist barrierearm gestaltet und verfügt über Rückzugsräume, Sinnesgärten und technisch unterstützte Kommunikationshilfen.
Durch individuelle Lernkonzepte, Therapieangebote und Unterstützte Kommunikation (UK) erhalten die Schüler*innen genau die Unterstützung, die sie benötigen. Das Angebot ist ein Leuchtturmprojekt für ganz Deutschland. Der Bedarf an Plätzen ist enorm und durch eine Einrichtung nicht zu decken. Aus der gesamten Bundesrepublik kommen Anfragen.
„Die Muschelkinderschule hat mir eine Stimme gegeben“
Ein Höhepunkt der Feier war die bewegende Rede von Simon, einem ehemaligen Schüler. Mit Hilfe eines Talkers – einem Gerät zur Unterstützten Kommunikation (UK) – berichtete der nonverbal kommunizierende junge Mann, wie die Schule sein Leben verändert hat: „2010 bin ich mit fünf Jahren an die Schule gekommen – ich habe mich sehr gefreut Neues zu lernen“, trägt die Computerstimme seine Rede vor. „An der Schule habe ich mich geliebt und angenommen gefühlt – mit all meinen Besonderheiten und Macken.“ Hier lernte Simon den Umgang mit dem Talker, um sich mitzuteilen. „Mein erster Satz war ‚Ich habe Hunger‘.“
Sich ausdrücken zu können war für ihn der Durchbruch: Er schaffte schließlich den Sprung an eine Regelschule. „Ich bin dankbar, dass mich die Menschen hier so geprägt haben und ein Grundgerüst gebaut haben“, sagte der Ehemalige. „Hier habe ich gelernt, ich bin okay – mit meinem Autismus.“ Simons Geschichte steht exemplarisch für den großen Erfolg des Konzepts der Einrichtung. Ein gutes Beispiel dafür, was Schule sein kann.
Karl Schulz, Vorstand Dienste der Rummelsberger Diakonie, dankte in seiner Rede allen Beteiligten: „Es gibt Geburtstage, die sind mehr als nur ein Datum im Kalender“, sagte er. Vor 30 Jahren war die Schule eine zarte Idee, die dank des Engagements der Eltern, die sich weigerten, die Diagnose ihrer Kinder als Grenzen zu akzeptieren. „Die nicht fragten, was können diese Kinder nicht, sondern: Was brauchen sie, um zu zeigen, was in ihnen steckt?“ So begann das Wagnis. „Und heute sehen wir, es hat sich gelohnt.“
Zwei Jubiläen, eine Eventreihe
Die Jubiläumsfeierlichkeiten sind eingebettet in eine öffentliche Event-Reihe mit hochkarätigen Expert*innen. Die Themen reichen von Inklusion im Sport über KI im sonderpädagogischen Unterricht bis zu Demokratiebildung und Pädagogik im Autismus-Spektrum. Die Veranstaltungen richtet sich an Eltern, Lehrkräfte, Fachkräfte der Behindertenhilfe, Studierende und alle Interessierten. Die Teilnahme ist kostenfrei; für einige Workshops wird um Anmeldung gebeten.
Das vollständige Programm mit Terminen, Anmeldemöglichkeiten und weiteren Infos finden Sie unter: https://7werke.de/events