Mit „Ex-Klusion“ eine wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten
08. Dezember 2025Seit 30 Jahren gibt es die Schule der Muschelkinder, seit vier Jahren werden sie in einem autismusfreundlichen Schulneubau in Nürnberg unterrichtet. Sonderschulkonrektorin Catja Primke hat die schulische Leitung inne. Wir haben die 51-Jährige nach Vergangenheit und Zukunft dieser so wertvollen Schule für die Bildung von Kindern mit frühkindlichem Autismus gefragt.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit nach 30 Jahren Muschelkindern?
Catja Primke: Gut, dass es die Muschelkinder gibt! Wir sind – trotz Inklusion - gefragter denn je. Die Zahlen der Kinder mit Autismus-Diagnose sind in den vergangenen Jahren extrem angestiegen. Viele dieser Kinder kommen an anderen Einrichtungen oder Schulen schwer klar, sie „sprengen dort den Rahmen“. In Sachen Inklusion hat sich viel getan, aber für unser Klienten braucht es dennoch oft ein besonderes Setting, das an anderen Einrichtungen so nicht vorhanden ist.
Wir haben räumlich und personell sehr gute Bedingungen. Wir sind seit 2021 in einem eigens für uns gebautem „autismusfreundlichen“ Schulhaus in Nürnberg tätig. Unser Personal ist für die besonderen Aufgaben ausgebildet und geschult. Wir leisten – auch wenn es auf den ersten Blick eher wie „Ex-Klusion“ anmutet, einen wichtigen Beitrag zur Inklusion. Wir ermöglichen Kindern und Jugendlichen Schulbesuch und Teilhabe an Bildung, die sie an anderen Schulen in dieser Form nicht bekommen würden.
Wie sind die Muschelkinder entstanden?
Catja Primke: 1995 hatte sich eine Elterngruppe im Verein Autismus Mittelfranken (damals „Verein für das autistische Kind“) zusammengetan. Diese Eltern haben teilweise schon in den vorschulischen Einrichtungen die Erfahrung gemacht, dass ihre Kinder als „schwierig“, „nicht integrierbar“ abgelehnt wurden. Mit dem damaligen Schulleiter der Comenius-Schule Hilpoltstein, haben sie einen Partner gefunden, der das Projekt „Diagnose-, Förderklasse für autistische Kinder“ mit auf den Weg gebracht hat. 1995 startete eine Klasse mit sieben Kindern. Nachdem die pädagogische Arbeit sehr erfolgreich war, wurde drei Jahre später eine neue erste Klasse eröffnet. Diesen Drei-Jahres-Rhythmus haben wir bis heute beibehalten.
In der Pionierzeit der Muschelkinder haben Eltern und Mitarbeitende sehr eng zusammengearbeitet. Man hat gemeinsam Fortbildungen zum Thema Autismus besucht, man hat die damaligen Schulräume gemeinsam gestaltet. Ehemalige Internatsräume am Gehörlosenzentrum in Nürnberg wurden von Eltern und Mitarbeitenden umgebaut und gestaltet. Man hat viel gemeinsam geplant, reflektiert und am Konzept „Muschelkinder“ gearbeitet.
Wie sehr engagieren sich die Eltern immer noch?
Catja Primke: Das intensive Engagement aus der „Aufbauzeit“ ist in dieser Art nicht mehr nötig: Die Muschelkinder sind eine feste Institution geworden. Vieles ist geregelt, etwa Abläufe, pädagogische Konzepte, Finanzierung – oder es gibt genaue Zuständigkeiten und Vorgaben.
Wir brauchen natürlich weiterhin engagierte Eltern, die mit uns auf Augenhöhe zusammenarbeiten, zum Wohl des Kindes. Enger Austausch und gegenseitiges Vertrauen sind wichtig. Die Art und der Umfang des Engagements haben sich verändert, man muss aber auch sehen, dass sich die Lebensbedingungen geändert haben Beispielsweise gibt es. mehr Alleinerziehende oder beide Eltern sind in Vollzeit berufstätig.
Welche Voraussetzungen gelten für die Aufnahme?
Catja Primke: Es muss eine Diagnose aus dem Autismus-Spektrum (frühkindlicher Autismus) vorliegen. Insbesondere sind es die Kinder, die einen sehr hohen Hilfebedarf haben, die sich nicht oder nur wenig über Verbalsprache mitteilen können, die herausfordernde Verhaltensweisen zeigen und dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zuzurechnen sind. Es gibt alle drei Jahre eine neue erste Klasse. Wir können in dem jeweiligen Jahrgang nur Kinder aufnehmen, bei denen die Einschulung ansteht.
Wie viele Klassen gibt es und wir groß sind sie?
Catja Primke: Aktuell haben wir eine erste, eine vierte, eine siebte und eine zehnte Jahrgangsstufe. In einer Klasse sind jeweils sieben Kinder. Die Schüler können ihre gesamte Schulpflichtzeit (zwölf Jahre) bei uns absolvieren.
Sind genügend Lehrkräfte vorhanden?
Catja Primke: Unser Personal besteht aus sieben Lehrkräften, davon 4 Klassenleitungen, elf pädagogischen Fachkräften, fünf Hilfskräften, ein FSJ, ein Praktikant im Anerkennungsjahr sowie eine ehrenamtlich angestellte Gebärdendolmetscherin. Pro Klasse sind es vier bis sechs Mitarbeitende. Das pädagogische Personal ist während der gesamten Zeit anwesend (Ganztageskonzept). Auch wenn es viel erscheint – wir haben nicht genügend Personal: Einzelne Schüler brauchen ganz intensive 1:1-Begleitung, manchmal sind auch zwei Erwachsene nötig, um einen Schüler gut begleiten und unterstützen zu können.
Das Interview führte:
Egbert Reinhold